Was von der Reise übrig bleibt – eine Rechenaufgabe

Einige Kommentare auf diesem Blog werfen die Frage auf, ob nicht die Fahrt mit dem Frachtschiff eine genauso dreckige Angelegenheit sei wie eine Flugreise. Daher möchte ich die CO₂ – Bilanz meiner Afrika-Reise, die ich bis jetzt als ‚gefühlt’ niedriger vorausgesetzt habe, noch mal genau in Zahlen ausrechnen.

In der Tat sind Frachtschiffe keine wirklichen Sympathieträger. Es sind die unverzichtbaren Ameisen des globalen Kapitalismus: auf ihrem Rücken transportieren sie 90 % des Welthandels. Das Hafengebiet in Antwerpen ist eine Wüste aus Asphalt, Lagerhallen, Parkplätzen, Kränen und Containern – einer der unromantischsten und fußgängerfeindlichsten Orte, die mir so spontan einfallen. Frachtschiffe sind Dreckschleudern: Sie fahren größtenteils mit Schweröl, bei dessen Verbrennung Feinstaub, Schwefeldioxid und andere ungute Stoffe ausgestoßen werden. Außerdem ist die weltweite Handelsschiff-Fahrt pro Jahr für 1,12 Mrd. Tonnen CO₂ verantwortlich. Das klingt erstmal ganz schön viel. Doch beim Vergleich mit dem Flugzeug oder dem Zug wird deutlich, dass das Schiff in Bezug auf Treibhausgase deutlich besser abschneidet. Laut …  fallen pro transportiertem Kilo auf 1000 km je 35 g CO₂ an. Wenn ich mich plus mein Gepäck mit großzügigen 100 kg veranschlage, verursache ich auf einer Reise von 5000 Kilometern ca. 17,5 kg CO₂. Das erscheint mir unglaublich wenig, doch die Daten stimmen in der Größenordnung mit den Angaben überein, die auf der Seite http://www.langsamreisen.de für Frachtschiffreisen berechnet werden (Link siehe unten).

Also fallen an:

Zugreise von einem kleinen Ort bei Bremen bis Antwerpen: 18 kg CO₂

Frachtschiffreise Antwerpen – Cotonou: 17,5 kg CO₂

Flug Accra – Madrid: 1 t CO₂

Busreise Madrid – Duisburg: 45 kg CO2

Zugreise Duisburg – kleiner Ort bei Bremen: 11 kg CO₂

(Ich hatte eigentlich vor, mit dem Bus bis nach Hannover zu fahren, doch da mein Bus vor dem Duisburger Hauptbahnhof in einen Unfall verwickelt war, bin ich dort auf den Zug gestiegen, da ich es sonst an dem Tag nicht mehr nach Hause geschafft hätte…)

INSGESAMT: ca. 1,1 t CO₂ (im Vergleich zu 3 t CO₂, die ein Hin- und Rückflug zwischen Frankfurt/Main – Accra verursacht hätte)

Ich habe mich nie zu der Behauptung hinreißen lassen, dass ich mit meiner Reise der Umwelt in irgendeiner Weise einen Dienst erweise. In vergleichbaren Blogs über Land- und Seereisen taucht öfter die Idee auf, dass die reisende Person Emissionen ‚einspare’ oder das ‚Klima schütze’ (siehe z.B. http://www.beagleybrown.com/carbon-offsetting-vs-container-ships/comment-page-1/#comment-2950 oder https://molinagosch.wordpress.com/meine-busreise-in-den-irak/) Dies gilt aber nur im Vergleich mit einer potentiellen Flugreise. Im Vergleich zum Zuhause-Bleiben ist natürlich jede Art der Fortbewegung, die nicht durch eigene Kraft geschieht, ein Plus an Emissionen. In meinem Fall: ich habe nicht 1,9 Tonnen CO₂ ‚gespart’, sondern 1,1 Tonne in die Luft gepulvert – die Hälfte von der Menge, die ich jährlich pro Kopf verursachen darf, um nachhaltig zu sein.

Ich habe gerade eine Rechenaufgabe gelöst. Mir geht es mir bei der Reise aber nicht ums Rechnen, oder um Zahlen. Mir ist wichtig: wenn ich schon in die Ferne reise, dann will ich mir dafür Zeit nehmen. Meine Reise war langsam, teuer und umständlich. Das ist in Ordnung so. Denn für mich ist eine Fernreise keine Selbstverständlichkeit, nichts, was ich jedes Jahr in der ganz normalen Urlaubszeit einbauen kann. Mir geht es nicht um eine Tonne CO₂ mehr oder weniger. Es geht mir darum, über diese Reise mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Und einen Diskurs zu schüren, in der die Selbstverständlichkeit des Fliegens einen Knacks bekommt.

Quellen:

„CO2-Emissionen der Schifffahrt bisher stark unterschätzt“, Greenpeace-Redaktion (13.02.2008); http://www.greenpeace.de/themen/klima/nachrichten/artikel/co2_emissionen_der_schifffahrt_bisher_stark_unterschaetzt/

http://www.co2-emissionen-vergleichen.de/Lebensmittel/Transport/CO2-Transport-Lebensmittel.html

http://www.langsamreisen.de/frachtschiffreisen/europa-afrika/nordeuropa_suedafrika/

Die Emissionen meiner Zug- und Busfahrten habe ich mit Hilfe von  http://www.koordinaten.de/online/stadt_entfernung.shtml und  https://www.prima-klima-weltweit.de/co2/kompens-berechnen.php#rechner berechnet. Die Angaben zu den Emissionen der Flugreise beziehen sich auf den Rechner der Atmosfair-Seite.

Glück über Nieselregen und Straßenschilder

Ziel meines Fluges war Madrid. Dort musste ich einmal übernachten, um am nächsten Tag die dreißigstündige Busreise nach Hannover antreten zu können. Die Idee war, irgendwann in grauer Vergangenheit, so kurz wie möglich zu fliegen. Im Vergleich zu der Strecke Accra-Frankfurt verursacht ein Flug von Accra nach Madrid eine halbe Tonne CO2 weniger. (Sagt der Emissionsrechner von atmosfair zumindest.) Seitdem habe ich diesen Plan schon oft verwünscht. Die Aussicht, mit meinem großen Rucksack durch Madrid zu laufen und mein Hostel zu suchen, erschien mir nicht sehr attraktiv.

OLYMPUS DIGITAL CAMERAIm Rückblick war mein Zwischenstopp in Madrid einer der prägendsten Erlebnisse meiner Reise überhaupt. Ich erlebte dort sozusagen einen rückwärtigen Kulturschock. Ich lief völlig benommen durch den abendlichen Nieselregen, bestaunte Altbaufassaden mit schmiedeeisernen Balkonen und bunten Kacheln, blickte in Fenster erleuchteter Cervecerias, wo Menschen mit weißen Gesichtern beisammensaßen, und war komplett verwirrt, dass mir diese fremde Stadt so vertraut vorkam. Mein Hostel zu finden, war kein Problem, ich konnte mich dank Metroplan und Straßenschildern ganz leicht orientieren. Ich verstand, was sich die Leute auf den Straßen zuriefen. (Ja – ich verstehe tatsächlich das spanische Spanisch besser als das ghanaische Englisch!) Niemand zieht an meinem Arm, damit ich mir eine Holzmaskensammlung ansehe; niemand zischt mich an, weil ich in ein Taxi steigen soll. Ich hatte das Gefühl, wie in Watte gepackt zu sein. In kühle, ruhige, saubere Watte. Die Flut der äußeren Eindrücke war abgebbt, der Reizpegel sank in die Komfortzone. Zusammen mit der Temperatur. Ich bin in Europa. Mit dem  Begriff habe ich früher nie etwas anfangen können.

Die Busfahrt zog sich wegen unvorhergesehener Ereignisse etwas in die Länge. An einem Busbahnhof in Nordspanien brach ein Passagier zusammen. Ich weiß nicht, wie die Versuche des Sanitätsteams, ihn wiederzubeleben, geendet sind. In Belgien standen wir so lange im Stau, dass ich mir langsam Sorgen darum machte, in Hannover den letzten Zug in meinen Heimatort zu verpassen. Vor dem Duisburger Hauptbahnhof schrammt der Bus einen Kleinwagen. Die Verhandlungen mit der Polizei und diverse bürokratischen Geschichten nehmen soviel Zeit in Anspruch, dass abzusehen ist, dass wir Hannover nicht vor halb eins erreichen werden. Ich packe meinen Rucksack und bekomme am Bahnhof die letzte mögliche Verbindung. Um halb zwei Uhr morgens bin ich endlich zu Hause.

Nachhilfeunterricht zum Thema Entschleunigung hab‘ ich nicht nötig…

Heimwärts

Unser Haus in Accra liegt in der Einflugschneise des Flughafens. Zusammen mit dem elektrisch verstärkten Chor der baptistischen Kirchengemeinde von nebenan, der in der Woche stundenlang probt und am Wochenende stundenlang die Gottesdienste begleitet, gehört das Dröhnen tieffliegender Maschinen zum ganz besonderen Wohngefühl. Wenn die internationalen Gäste, die unsere Veranda fluktuieren, uns verlassen, können wir ihnen kurz später hinterherwinken.

Als die Zeit für meine Abreise gekommen ist, bringen mich meine zwei ghanaischen Freunde zum Flughafen. Freunde? Als ich einsam und magenkrank in einem siffigen Hotel lag, haben sie mich dort – in einer wahren Schutzengelaktion – rausgeholt und mir ein Zimmer in der schon erwähnten WG verschafft. Sie haben mir gezeigt, wo man in der Nachbarschaft billiges Bier kaufen kann (im Wohnzimmer einer reifen Lady mit buntem Bademantel). Sie haben mir einen Laptop geliehen, damit ich meinen Blog nicht im Internetcafé schreiben muss. Wir haben so manche Mahlzeit und so manches Getränk zusammen geteilt. Und jetzt haue ich einfach ab. „Du musst zurückkommen“, sagen sie.

Das möche ich eigentlich nicht. Zwar ist mein Fernweh ungestillt (ich weiß erst jetzt, was ich in Ghana alles NICHT gesehen habe). Aber dass ich jetzt in so eine Kerosinschleuder steige, finde ich peinlich genug. Das möchte ich in Zukunft vermeiden. Und damit ist die Sache gegessen. Denn wenn ich nicht noch einmal nach Ghana reise, dann sehe ich meinen beiden trinkfesten Schutzengel nie wieder. Denn die beiden gehören zu den 90 Prozent der Weltbevölkerung, die noch nie ein Flugzeug von innen gesehen haben. Nach Deutschland zu reisen wäre ihnen nur möglich, wenn ich ihnen eine Einladung schreiben und den Flug finanzieren würde. Tatsache ist, dass ich das nicht machen werde. Und anscheinend hat es auch noch kein anderer der internationalen „Freunde“ getan, die in unserer WG in Accra ein- und ausgehen. Daher die Anführungszeichen, daher das Fragezeichen.

Abgesehen von dem ökologischen Frevel, den wir mit Fernreisen begehen, kommen mir immer mehr Zweifel an der sozialen Sinnhaftigkeit. Ich will natürlich Menschen begegnen und ihre Kultur kennenlernen – aber wie kann das eine Begegnung auf Augenhöhe sein, wenn ich weiß, dass diese Menschen niemals die Chance haben werden, meine Kultur kennenzulernen? Wie kann ich eine Freundschaft auf Augenhöhe pflegen, wenn ich allein darüber entscheide, ob es ein Wiedersehen gibt oder nicht?

Am Strand, Teil 2

Labdi Beach PferdZu sechst quetschen wir uns in ein Taxi und fahren zum Strand. Fast unsere ganze WG: drei Ghanaer, zwei Deutsche, eine Kanadierin. Unser amerikanischer Mitbewohner lehnt dankend ab, Labadi Beach sei grauenhaft. Später soll ich verstehen, was er meint. Doch zunächst kann ich es kaum erwarten, das Haus zu verlassen. In unserem Stadtviertel ist der Strom ausgestellt, und ohne Ventilator ist es in den Zimmern unerträglich heiß. Dabei hatte ich die Hoffnung, dass aus unserem Sonntagsausflug Realität wird, schon fast aufgeben. ‚Vor zwölf‘ wollten wir los, so hieß es. Um halb drei sind wir dann endlich komplett. „This is Africa“, sagt jemand schulterzuckend.

Labadi Beach… schon wieder ist alles anders, als ich es mir vorgestellt habe. Dieser Strand ist kein Naturerlebnis, sondern eine Mischung aus Kneipe, Jahrmarkt und Party. Die Stühle und Tische der Strandlokale stehen so dicht bis ans Wasser, dass die längsten Wellen um sie herumspülen. Dazwischen verkaufen Menschen gekochte Erdnüsse oder panierte Krabben aus ihrer Wanne auf dem Kopf. Eine Gruppe von Männern in schrillen, enganliegenden Kleidern zeigen Akrobatiknummern, andere trommeln dazu. Mietpferde traben mit ihren Reitern durch die Brandung. Wo wollen sie bloß hintreten, frage ich mich, eigentlich ist kein Platz mehr zwischen all den Menschen und Tischen und Buden. Plastikmüll treibt im Wasser, hinter den Kokospalmen ragen Hochhäuser und Baukräne auf. This is Africa? Ich weiß nicht so recht, ob ich da bin, wo ich hinwollte.

Die Getränke sind teuer, die Musik ist laut, in den Bars lehnen sich schickgekleidete Menschen an glänzende Tresen. „Das hier ist nicht das echte Ghana“, sagt jemand. „Du musst in den Norden. Dort ist der Kapitalismus noch nicht so weit verbreitet.“ Eine holländische Freiwillige stimmt ins gleiche Lied. „Im Norden, da erlebt man noch die ursprüngliche afrikanische Kultur.“ Ja, dumm gelaufen für mich. In den Norden Ghanas, soviel kann ich schon absehen, werde ich es nicht mehr schaffen auf meiner Reise.

Auf eine Runde Getränke folgt die nächste. Aufs Schwimmen habe ich tatsächlich verzichtet, zu schmutzig ist das Wasser. Außerdem sind die Strömungen gefährlich. Als sicheres Badegebiet gilt das Meer vor einem überwachten Streifen Strand, das höchstens 50 Meter lang ist. Während anderswo das Meer fast leer ist, sieht man hier vor lauter Menschen das Wasser nicht.

Mittlerweile ist es dunkel, und es wird leerer um uns herum. Ich würde eigentlich gerne nach Hause. Aber was sollen wir da tun, in einem heißen, stickigen Haus ohne Licht und mit toten Computern? Also sitzen wir am Strand wie im Exil und bestellen noch etwas zu trinken. Das Gesicht meines ghanaischen Mitbewohners wird immer düsterer – vorbei geht der Tag, den er eigentlich für seine Masterarbeit reserviert hatte.

Labadi Beach im DunkelnStändig kommen Menschen vorbei, werden mit großem Hallo als alte Kumpel begrüßt, setzen sich. Ich schüttele Hände und sage, dass ich aus Deutschland komme. Ich unterhalte mich länger mit einem Filmproduzenten. Er kultiviert seinen amerikanischen Akzent, der verrät, dass er zu der Schicht gehört, die sich Flüge ins Ausland leisten kann. Aber er betont, dass er afrikanische Filme macht. Über afrikanische Themen. „Village stuff“, nennt er es. Die Schauspieler, die das echte afrikanische Dorfleben darstellen, werden dafür allerdings aus der Stadt eingefahren. „Die im Dorf packen das nicht“, sagt er.

Ach ja, das afrikanische Dorfleben, deswegen bin ich doch eigentlich hier. Das echte Afrika, das echte Ghana. Stattdessen sitze ich hier und trinke Coca Cola – zum ersten Mal seit einem Jahrzehnt oder so – damit der Wodka erträglicher schmeckt. Aus einem Plastikbecher. Es wird Zeit, dass ich Accra verlasse. Was mich etwas beruhigt: auch zwei unserer ghanaischen Begleiter waren noch nie im Norden – kein Geld, so weit zu reisen – und haben das echte Ghana noch nie gesehen.

Photos: Renée deVangie

Zu den Risiken und Nebenwirkungen Ihrer Fernreise

An irgendeinem Punkt während meiner Frachtschiffreise musste ich die Bücher über afrikanische Geschichte weglegen, weil mir die Schilderungen von Bürgerkriegen und der Willkürherrschaft von Diktatoren zu sehr aufs Gemüt drückten. Zur Abwechslung beschäftigte ich mich daher mit den diversen Beipackzetteln meiner Reiseapotheke, mit der ich mich für den Aufenthalt in einem tropischen Land gerüstet hatte.

Darunter befand sich z.B. das Wasserdesinfektionsmittel, mit dem ich im Notfall Trinkwasser aufbereiten kann. Dreißig Minuten soll man die Tabletten, die Chlor enthalten, in Wasser einwirken lassen, in der Zeit töten sie dann „schnell und zuverlässig“ alle Bakterien und Viren ab, die im Magen-Darm-Trakt des Reisenden ihr Unwesen treiben könnten. In nicht aufgelöstem Zustand sollte man die Tabletten jedoch nicht verschlucken, warnt die Packungbeilage, das sei gesundheitsschädlich. Außerdem erfahre ich: „Reizt die Augen und Atmungsorgane. Sehr giftig für Wasserorganismen, kann in Gewässern längerfristig schädliche Wirkungen haben.“  (Ich hoffe, mein Trinkwasser zählt nicht als Gewässer) und „Nicht mit anderen Produkten verwenden, da giftige Gase (Chlor) freigesetzt werden können. Feuchte Tabletten können Kleider entfärben. Nicht in die Kanalisation gelangen lassen.“ Auf der Packung selbst sind durch zwei unheilvolle orange-schwarze Piktogramme zu sehen, die Zeichen für „umweltgefährlich“ und „gesundheitsschädlich.“ Prost. Das macht mir so richtig Appetit auf desinfiziertes Wasser.

Moskitonetze haben glücklicherweise keine Nebenwirkungen, außer dass man darunter nichts von der Ventilatorluft mitkriegt.

Relativ harmlos liest sich dagegen die Aufschrift auf meinem Moskito-Spray. DEET klingt auf jeden Fall besser ist als DDT. Man sollte es trotzdem nicht trinken, einatmen oder in die Augen reiben. Und bloß nicht unter der Kleidung anwenden. Am besten sollte es nicht in die Umwelt gelangen. Das stellt mich vor große Rätsel. Ist meine Haut etwas keine Umwelt? Gibt es überhaupt einen Ort außerhalb der Umwelt, wo ich das Zeug sicher entsorgen kann? Ein Teil des Sprays ist ausgelaufen, der Deckel war nicht dicht, und der Karton sieht daher stellenweise so aus, als sei er geschmolzen. Hmpf. Gibt es da nicht ein Bio-Variante von, aus der gleichen Reihe vielleicht, aus der auch mein Spülmittel kommt? Aber mein Reisearzt hat mir nachdrücklich beteuert, gegen die tropischen Mücken hülfen nur Chemiekeulen. Ich sollte ja nicht auf die Idee kommen, mich auf irgendwelche pflanzlichen oder gar homoöpathischen Mittel zu verlassen!

Also gut, ein weiterer Kompromiss mit den ökologischen Werten. Denn mit diesen Mosquitos will ich nichts zu tun haben. Westafrika ist, was Malaria angeht, Hochrisikogebiet. Daher habe ich einige Packungen Tabletten im Gepäck, die mich vor Malaria schützen sollen. Ich habe mich von unschönen Erzählungen abschrecken lassen und mich gegen das Medikament entschieden, das bei etwa 25 Prozent der Menschen, die es einnehmen, schwere Nebenwirkungen auslöst, darunter Alpträume, Depressionen, Verfolgungswahn. Die Alternative heißt entweder: zwei Monate Antibiotika schlucken (auch das war für mich No-Go), oder jeden Tag eine Tablette nehmen, die 5 Euro kostet.  Da ich zufällig in einer der wenigen Krankenkassen bin, Malaria-Prophylaxe finanziert, konnte ich mich tatsächlich für das teure, aber gut verträgliche Medikament entscheiden. Gut verträglich heißt, dass nur eine von zehn Personen unter Schlaflosigkeit, Schwindel, seltsamen Träumen usw. leidet.

Da aber keine Prophylaxe einen hunderprozentigen Schutz davor liefert, mit Malaria infiziert zu werden, habe ich noch eine „Stand-By-Medikament“ dabei, dass ich einnehmen soll, wenn ich krank werde. Einige der aufgelisteten Nebenwirkungen treten bei mir schon beim bloßen Durchlesen des Beipackzettels auf. Herzrasen und Übelkeit zum Beispiel. Hoffentlich werde ich dieses Zeug nie einnehmen müssen! Und was für ein Schildbürger-Pharmakonzern, bitte schön, bringt Medikamente gegen eine Tropenkrankheit auf den Markt, die nicht über 30 Grad gelagert werden dürfen?

Meine vier nackten Kabinenwände helfen nicht gerade dabei, auf andere Gedanken zu kommen. Ich gehe an Deck, drehe eine Runde zwischen den Gebrauchtwagen und frage mich, in was für ein Land ich da fahre, in dem ich anscheinend nur chemisch hochgerüstet durchkommen kann. Soll ich da sein?

Zur Aufheiterung lese ich noch ein Kapitel afrikanische Geschichte.

Noch mal zum Thema Transport

Übers Busfahren in Afrika ist schon viel geschrieben worden. Dass sich die Busse, Kleinbusse (‚Tro-Tros‘) und vergleichbare Transportmittel selten nach Fahrplänen richten, sondern erst abfahren, wenn sie voll sind, gehört ja sozusagen zur Afrika-Folklore – ich war also bestens darauf vorbereitet. Außerdem bin ich durch meine Frachtschiffreise in puncto Entschleunigung und längerem Herumsitzen ganz gut im Training. Verglichen mit einem leeren Meer oder einer Kabinenwand gibt es beim Warten auf die Abfahrt eines ‚Tro-Tros‘ soviel zu beobachten, dass ich mich eher reizüberflutet als gelangweilt fühle: Mädchen und Frauen drängen sich um die Busse herum und bieten Wasserbeutel oder Kuchen durchs Fenster an. Drumherum spielt sich der Marktalltag ab: Menschen tragen Wannen mit ihren Waren auf dem Kopf – Ananas, bunte Plastikkämme, Fleischspieße, Zahnpasta -, Matronen in bunten Gewändern geben hinter der Auslage mit panierten Fischen ihren Säuglingen die Brust, junge Männer schlafen neben ihrem Kaugummisortiment. Zwischen dem Gewühl aus beladenen Autos, Menschen und Essensständen schnuppern Ziegen an Pfützen und Müllfetzen. Spannend beim Warten ist außerdem die Frage, wieviele Menschen sich letzendlich in den Kleinbus zwängen werden. Die meisten Fahrzeuge, die ich auf den Straßen von Ghana und Togo sehe, sind voll ausgelastet – auch der Platz über der Handbremse wird vergeben. Das kann von den Standpunkten der Ökologie bzw der Verkehrssicherheit unterschiedlich bewertet werden.

Ja, das sagenumwobene afrikanische Zeitempfinden bereitet mir beim Reisen keine Probleme. Außer dem Sonnenuntergang, vor dem ich meinen Zielort erreicht haben möchte, habe ich schließlich keine wichtigen Termine. Was dagegen die Fortbewegung unglaublich schwer macht, ist eher die räumliche Unbestimmtheit. Es gibt es nicht einen zentralen Busbahnhof, sondern viele verschiedene Haltestellen und Sammelpunkte, manchmal einfach nur Straßenecken. Jeder Tro-Tro ist mit einem Psalmspruch bemalt, aber Schilder mit ihrem Zielort haben sie nicht. Und was helfen mir die Straßennamen im Reiseführer, wenn es keine Straßenschilder gibt?

Wenn ich also herausfinden will, wo mein Bus abfährt, muss ich fragen. Der Mensch, den ich frage, schickt mich dann mit einer Armbewegung in die – hoffentlich – richtige Richtung und sagt ‚Go ask there‘. So frage ich mich von Ecke zu Ecke durch (bei 35 Grad, im Menschengewühl), schlimmstenfalls muss ich noch einmal umsteigen – bis ich dann endlich vor dem richtigen Bus stehe. Das Warten, wirklich, ist dann nur noch ein Kinderspiel.

Ich bin also, was Orientierung angeht, völlig auf die Hilfsbereitschaft anderer Menschen angewiesen. Ich habe dabei unglaublich freundliche Menschen kennengelernt, die ein Stück des Weges mit mir gegangen sind, um sicherzustellen, dass ich zum richtigen Verkehrsmittel komme. Aber ich bin auch auf Menschen gestoßen, die mich in die komplett falsche Richtung geschickt haben. Oder schlichtweg Menschen, die vage Aussagen machen, oder die ich nicht verstehe.

Es hat einige Zeit gebraucht, bis ich dieses System (wenn es denn eins ist), verstehe, ansatzweise zumindest. Ich verstehe, was in Accra die Beifahrer der Tro-Tros schreien, wenn sie sich aus dem Fenster hängen: „Circ-circ-circ“ heißt „Krumah Circle Station“, und „Cracracra“ bedeutet „Accra“, also ‚Tema Station“. Ist doch klar. Manchmal deuten sie das Fahrziel lediglich mit einer bestimmten Handbewegung an. Es ist jedes Mal ein Triumph, wenn ich die Taxifahrer, die wie die Geier auf mich zustürzen, links liegen lassen kann. Sollen sie doch andere obrunis abzocken, ich weiß, wo ich hin muss; ich weiß, in welchen Tro-Tro ich steige!

Wenn ich im Tro-Tro sitze, fangen die Sorgen manchmal erst richtig an. Die Straßen in Ghanas Süden sind in hervorragendem Zustand, die Fahrzeuge nicht. In einer vollgepackten, unklimatisierten Rostlaube mit 120 Sachen über die Landstraße zu brettern und die riskanten Überholmanöver des Fahrers zu beobachten, ist kein Spaß. Rechts und links der Straße sieht man häufig ausgebrannte oder zerdellte Autowracks. Verkehrsunfälle gehören zu den häufigsten Todesursachen in Ghana, und ich kann mir jetzt auch vorstellen warum.

Die Fahrzeuge sind häufig ausrangierte Zweitwägen aus Europa – mein Frachtschiff war voll davon. Sie tragen noch deutsche oder dänische Firmen-Aufschriften („Bestattungsunternehmen Wolfgang Heinemann“, „Umzugsservice“) mit den dazugehörigen Telefonnummern. Sie sind durchgerostet, löchrig und spucken schwarzen Rauch. In einem Tro-Tro saß ich in der hintersten Ecke und wurde von meiner schlafenden Nachbarin, die wegen der Schlaglöchern hin- und herschwankte (aber vor allem hin), immer mehr an die Wand gedrängt.. und ich hätte schwören können, diese Wand gab nach und beulte sich aus.

Ja. Aber neben all den schrottigen Autos gibt es auch andere, modernere, und ich würde lügen, wenn ich sie an dieser Stelle unerwähnt ließe: schwarze, glänzende, dicke Geländewagen. Mit leerer Rückbank, mit leerem Beifahrersitz. Vor allem die Straßen Accras sind voll davon. Und es werden immer mehr werden. Denn es geht aufwärts mit Ghanas Wirtschaft. Man kann es den Menschen nur wünschen. Denn je größer das Auto, desto höher die Überlebenschancen bei einem Zusammenstoß. Was dann allerdings mit dem Verkehr in Accra passiert, der jetzt schon in den Stoßzeiten zum Infarkt führt, das weiß ich nicht. Oder was mit der Luft wird, die jetzt schon versmogt ist… ? Oder mit den letzten heldenhaften Radfahrern Accras, für die heute schon kein Platz mehr ist?

Am Strand

Nach achtstuendiger Reise mit mehreren Verkehrsmitteln erreiche ich kurz vor Sonnenuntergang mein Ziel, die Green Turtle Lodge bei Dixcove an der Westkueste. Von Accra weniger als 200 Kilometer Luftlinie entfernt. Doch ich habe mehrmals umsteigen muessen, und das letzte Stueck Strasse war eher ein breiter Pfad durch den Busch. Die Huetten der Lodge liegen an einem weissen, von Kokospalmen gesaeumten Sandstrand – ‚pristine‘ sagt mein Reisefuehrer, ‚unberuehrt‘, und das stimmt fast, abgesehen vom ueblichen Strandgut aus Plastiktueten und verwesten FlipFlops. Ein Bild fast wie aus einem Reiseprospekt. Haengematten und eine Bar aus Bambusholz laden zum Verweilen und Cocktail-Trinken. Das Matratzenlager habe ich ganz fuer mich alleine, von ein paar Ameisen und Eidechsen abgesehen. Wer mehr als 5 Euro fuer die Uebernachtung investieren moechte, kann auch eine der „traditionellen“, huebsch bemalten Rundhuetten beziehen.

Der ideale Ort fuer einen Traumurlaub also. Ich setze mich in den Sand, schaue mal wieder aufs Meer und werde melancholisch. Eigentlich bin ich nicht den ganzen weiten Weg nach Afrika gereist, um frivole Tage am Strand zu verbringen. Ich hatte einige vielversprechende Kontakadressen im Gepaeck (von einer Menschenrechtsorganisation, von „Friends of the Earth Ghana“, vom Ghana Organic Agriculture Network). Denn ich wollte sie alle kennenlernen… die Huehnerfarmer, die wegen der billigen Gefluegelimporte aus der EU bankrott gehen. Die Kleinbaeuerinnen, die vom Klimawandel betroffen sind. Die Fischer, deren Existenz durch die leergefischten Ozeane bedroht ist. Endlich die Situation vor Ort kennenlernen, mit den Menschen  sprechen, und nicht ueber sie lesen. Und vor allem wollte ich „WWOOF“en – als Willing Worker on Organic Farms, als Freiwillige auf kleinen Hoefen arbeiten, so wie ich das schon in Norwegen, Schottland und den USA getan habe. Doch das nationale WWOOF-Buero ist eine Karteileiche. Auf meine e-mails kommt keine Antwort, die Telefonnummer funktioniert nicht („the number you dialed is currently switched off“). Oder ich erreiche jemand, der gerade sehr in Eile ist und verspricht, mich zurueckzurufen. Sich aber nie meldet. Aehnlich geht es mir bei den Kontakten zu den anderen NGOs. Alles nicht so einfach. Es scheint, als sei ich tatsaechlich zum Traumurlaub verurteilt.

Bei Abendessen und Bier gibt es nette Begegnungen mit anderen Gaesten. Die meisten ‚obrunis‘ (das rufen hier die Kinder – und nicht nur die Kinder – den Weissen hinterher), die ich in Ghana treffe, haben hier eine Aufgabe: sie arbeiten fuer eine Entwicklungshilfeorganisation, leisten einen Freiwilligendienst oder drehen einen Film. In der Green Turtle Lodge halten sich aber auch ein paar ganz gewoehnliche Touristen auf. Viel Reisegarn wird an den Abenden gesponnen, es werden Geschichten aus Indien, Uganda, Mexiko und Alaska erzaehlt. In den Gespraechen kommt meistens der Punkt, an dem ich von meiner Frachtschiffreise berichte und erklare, warum ich nicht geflogen bin. Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich. Manchmal bleibt mein in den Ring geworfener Zankapfel unbeachtet liegen, manchmal entfacht er eine interessante Diskussion.

Eine 26jaehrige kanadische Freiwillige erweitert auf diese Weise ihren Wortschatz um die Vokabel ‚carbon footprint‘. Ein deutscher Praktikant bei der GIZ fragt mich eine Stunde nach unserem Gespraech unvermittelt, wie alt ich denn sei. Weil ich schon so viel ueber diese Dinge – wie Klimawandel – nachgedacht haette. Eine Englaenderin lacht und empfiehlt mir: „You should go back by bike!!“ Alistair aus Bristol gibt zu, dass er angesichts seiner beruflichen und privaten Vielfliegerei schlechtes Gewissen hat. Aber er zuckt die Achseln. „Wenn ich mal viel Geld hab, dann mach ich in Europa Urlaub.“

Eine internationale Jugendgruppe aus einem Schweizer Internat und ihre beiden Betreuer verbringen die Herbstferien in Ghana: Zehn Tage. Ihr Programm ist dichtgedraengt, und um Zeit zu sparen, legen sie sogar die Strecke Accra-Kumasi (ca fuenf Busstunden) mit dem Flugzeug zurueck. Fuer einige Jugendliche lohnt es sich nicht, in den kurzen Ferien nach Hause zu fliegen, erklaert der britische Lehrer, „so the parents said: take them on a trip“. Aber Ghana sei auch nicht eben nah, wende ich ein. Doch, entgegnet der Lehrer, der Flug nach Accra daure schlappe fuenfeinhalb Stunden, ein Flug nach Brasilien oder Thailand zehn Stunden. Er hat selbst einmal eineinhalb Jahre in Ghana gearbeitet und ist sehr engagiert. „I hope they learn something about the world.“

Am fruchtbarsten finde ich die Diskussion mit einem aelteren Norweger, der fuer zwei Wochen in Ghana ist, um seine Tochter zu besuchen, die an der Universitaet von Cape Coast ‚Developing Studies‘ lehrt.  Er hat ‚Resource Management‘ studiert und arbeitet fuer das norwegische Umweltministerium. Er forscht daran, wie sich der Autoverkehr in norwegischen Staedten reduzieren laesst. Privat scheint jedoch keine Hemmungen zu haben, den internationalen Luftverkehr zu erhoehen. Er nutze dagegen in seiner Freizeit kaum das Internet, sagt er, hoechstens mal, um eine Zugverbindung herauszufinden. Und das Internet verursache ebenso viele Treibhausgasemissionen wie der gesamte Flugverkehr.

Das ist hart. Selbst fuer eine Offline-Bloggerin.

Trotz allem verbringe ich in der Green Turtle Lodge eine sehr schoene Zeit. Mir wird auch klar, wie unmoeglich es ist – mir ist – sinnvolles und sinnloses Fliegen zu trennen. Katastrophenhelfer, die zu einem Einsatz fliegen, wuerde ich niemals mit meinem kleinen Feldzug belaestigen. Menschen aus multikulturellen Familien, die ihre Angehoerigen besuchen, auch nicht. Ein Freiwilligendienst kann auch eine wertvolle Sache sein. Und kann ich den norwegischen Vater, der die Eindruecke seiner Tochter besser nachvollziehen will, wirklich ans Bein pinkeln? Auch wenn er nur zwei Wochen bleibt? Wie lang muss man in einem Land bleiben, was muss man dort Tolles tun, damit ein Flug gerechtfertigt ist? Umgekehrt gilt auch: der Effekt, den mein Rueckflug aufs Klima hat, bleibt der Gleiche. Ob ich nun Kleinbaeuerinnen interviewe oder an Ghanas Straenden durch die Wellen laufe.

Sorry, habe nur offline gebloggt

Es ist jetzt schon vier Wochen her, dass ich in Cotonou von Bord gegangen bin, aber ich habe bis jetzt kaum von meiner Reise von Benin durch Togo nach Ghana berichtet. Was teilweise daran lag, dass ich nur begrenzten Zugang zum Internet hatte. Und daran, dass ich in der ersten Zeit vorwiegend mit mir selbst beschaeftigt war und damit, in Westafrika mein Kinn ueber Wasser zu halten – was esse ich, wie komme ich von A nach B, wie bleibe ich gesund, – und dass das so anstrengend war, dass ich eher dramatische Mails an Freunde und Familie geschrieben habe und nichts Glorreiches fuer die Oeffentlichkeit. Und teilweise liegt die Sendepause auch darin begruendet, dass mein Afrika-Aufenthalt komplett anders verlaufen ist bzw verlaeuft als ich geplant hatte, und dass ich noch nicht so richtig weiss, wie ich darin den Roten Faden – den Sinn, den Zusammenhang – finden kann, den eine Geschichte braucht. Auch die wahren Geschichten.

Eine nahtloser Bericht von Anfang bis Ende wird der Blog nicht, ich werde dagegen in den naechsten Tagen und Wochen unchronologisch zu einzelnen Themen und Eindruecken schreiben. Zum Verstaendnis eine geraffte Zusammenfassung meiner bisherigen Reise: In Cotonou habe ich den alten Schulfreund eines togolesischen Bekannten getroffen, zusammen sind wir nach Lome (Togo) gereist, wo ich bei ihm und seiner Familie einige Tage zu Gast war. In Benin und Togo haette es noch viel zu sehen gegeben, aber mich zieht es nach Ghana – denn mein Franzoesisch ist holprig, und obwohl ich auf dem Schiff fleissig gelernt habe und mich irgendwie durchschlagen kann, erhoffe ich mir vom englischsprachigen Nachbarland, dass dort alles einfacher und besser ist. Nicht nur die Kommunikation, sondern das Leben ueberhaupt – denn das stabile, relativ wohlhabende Ghana gilt als ideales ‚Afrika fuer Anfanger‘ – und dazu gehoere ich wohl.

Von der ersten vollstaendigen warmen Mahlzeit, die ich an meinem fuenften Tag in Afrika endlich zu mir nehme, werde ich krank. Die uebliche Magen-Darm-Geschichte. Die aber reicht, um mich an meinen ersten Tagen in Ghana – die ich alleine in einem siffigen Hotel in Accra verbringe – hundsmiserabel zu fuehlen. Als nach einigen Anlaufproblemen endlich meine neue SIM-Card funktioniert, erreiche ich die ehemalige Kollegin einer Freundin, die sich gerade in Ghana aufhaelt. Sie ist zwar nicht in Accra, mobilisiert aber den Mitbewohner ihres ghanaischen Mannes und dessen Freund… und diese beiden, die mich wirklich nur um dreiundneunzig Ecken kennen, holen mich in einer echten Schutzengelaktion aus meinem grauenhaften Hotel raus. Ich verbringe einen geselligen Abend in ihrem Haus: eine Art ghanaisch-deutsch-amerikanische WG mit Billard-Tisch und regelmaessigem Besuch auf der Veranda. Es ist ein noch ein Zimmer frei, und am naechsten Tag ziehe ich dort ein.

Von meinem „Basislager“ in Accra aus unternehmen ich sternfoermige Erkundungen im Land. Was immer besser funktioniert, denn ich kriege langsam heraus, wieviel ich fuer eine Taxifahrt bezahlen muss, wieviel fuer eine Ananas. Und welche Tro-Tros ich nehmen muss, und wo sie abfahren.

Davon bald mehr.

Was nuetzt uns das Bewusstsein?

(Aus Accra, Ghana). Manche Reisende werden sich schon gefragt haben, wie Afrika vor der Einfuehrung der Plastiktuete funktioniert hat. Ja. Wenn mich jemand um zehn Schlagwoerter bitten wuerde, die mir zu meiner Reise durch Benin, Togo und Ghana spontan einfallen: die kleinen schwarzen Plastiktueten wuerden ganz oben rangieren. Jedes kleine Teil, das mir Strassenverkaeufer durchs Busfenster reichen, die Marktfrau verkauft ist, in eine Tuete eingepackt, jede Papaya, jeder Wasser(plastik)beutel, jede Klopapierrolle. Nach Benutzung landen die Tueten auf dem Boden, wehen durch die Luft, oder sammeln sich im Strassengraben an. Oeffentliche Muelleimer sind Mangelware.

Wenn ich hier Deutsche treffe und mich mit ihnen unterhalte, schuetteln sie darueber haeufig den Kopf und beklagen sich ueber das fehlende Umweltbewusstsein der Menschen in Ghana. Auch ich zucke zusammen, wenn ich sehe, wie der Mann, der im Bus hinter mir sitzt, bei einem Halt eine halbvolle Getraenkedose – Plopp – in die Pfuetze wirft. Schwer zu ertragen fuer uns, die wir unseren Muell sachgerecht entsorgen und recyceln.

Manchmal vermisse ich im deutschen Kopfschuetteln jedoch das Eingestaendnis, dass uns die Ghanaer weit ueberlegen sind, wenn es um den oekologischen Fussabdruck geht. Pro Kopf verursachen die Menschen in Ghana ein bis eineinhalb Tonnen CO2 im Jahr. Alle Deutschen, die ich hier im Land treffe, haben alleine durch ihren Hinflug soviel Kohlendioxid emittiert. Der Schmutz, den wir in der Atmosphare abladen, ist unsichtbar, stinkt nicht und stoert nicht die Aussicht auf die Landschaft, seine Folgen sind abstrakt und schleichend. Aber viel gravierender.

Natuerlich, so werden manche argumentieren, hat der geringe Fussabdruck der Ghanaer und Ghanaerinnen weniger mit dem Willen zu tun, das Klima zu schuetzen als mit fehlenden Mitteln zum Konsum. Andererseits: was nuetzt unser Willen, unser Bewusstsein und unsere Aufgeklaertheit ueber den Klimawandel, wenn sie sich in den Fakten – unserer tatsaechlichen Co2-Bilanz – nicht wiederspiegelt?

Andere Sprachen

Kommunikation auf dem Schiff ist manchmal schwierig. Die Besatzung spricht teilweise nur begrenzt Englisch. Was mir bei den Italienern nicht sofort aufgefallen ist, denn sie sprechen so schnell…. aber auf meine Fragen bekomme ich oft Antworten, die ueberhaupt nicht passen, so dass mir klar wird, dass sie mich nicht richtig verstehen. Und natuerlich sind sie alle viel beschaeftigt. Auch die Mahlzeiten sind kein guter Ort, um sich auszutauschen. Sie laufen sehr foermlich ab. Ich sitze alleine an einem Tisch und arbeite mich durch mit drei Paar Bestecken durch – mindestens – drei Gaenge auf drei Tellern. Viel Fleisch, viel Fisch, dazu Weissbrot. Einziger Lichtblick die Pasta als Vorspeise. Alle stehen ruckartig auf, wenn der Kapitaen sich erhebt, denn niemand darf sitzen, solange er steht. Ja. Ich muss gar nicht erst in Afrika ankommen, um meinen ersten Kulturschock zu erleben. Vegetarisch und hierarchiefrei ist Milchstrassen entfernt.

Einer der jungen Kadetten (also Offiziersanwaertern( hat noch nie erlebt, dass Passagiere auf einem Schiff mitfahren). „What are you here?“ fragt er mich. Gute Frage. Ich versuche mich an einer Erklaerung. „I don’t like flying.“ O.k. Das versteht er. Vielleicht belasse ich es einfach dabei. Es faellt mir immer leichter, zu sagen, dass ich ‚Flugangst‘ habe, als zu erklaeren, dass ich aus Klimaschutzgruenden nicht fliegen will. Das laesst sich gesellschaftlich einordnen, wird akzeptiert und es gibt sogar einen Begriff dafuer. Dann gebe ich mir einen Ruck. Schliesslich will ich ja gerade ein Thema aus dem Nicht-Fliegen mache. Auch ausserhalb der sozialen Blase, in der ich mich sonst bewege. Ich setze erneut an.

„Environment“. Mmh. Der Kadett kennt das englische Wort nicht. Aber ich glaube, es ist nicht nur ein Vokabelproblem, ihm fehlt das Konzept dafuer. „Energy“. „Climate“. Unser Gespraech ist gescheitert. Vielleicht liegt es auch nicht an seinen fehlenden Konzepten, sondern an der Tatsache, dass ich ein Alien bin, von einem anderen Stern.

Das Hafengelaende von Antwerpen ist endlos gross, nach dem Ablegen fahren mit dem Schiff mindestens eine Stunde lang durch eine Landschaft aus Containern, Lagerhallen, Kraehnen, Parkplaetzen, Kieshalden, rauchenden Schloten. Zu Fuss kann man sich hier nicht bewegen. Tonnen von Ladung werden hier umgeschlagen – Oel, Rohstoffe, Autos –  mit Hilfe von Maschinen, Lkws, Frachtern. Die sich mit fossiler Energie bewegen. Und die mit Hilfe von fossiler Energie produziert werden. Und auch die Werkzeuge und Maschinen, die man braucht, um Verladekraehne zu produzieren, werden wiederum mit Rohstoffen und fossiler Energie produziert, die um die Erde transportiert werden. Die von Menschen gewartet und vermarktet werden, die um um den Globus fliegen. Und hier stehe ich an Deck, mitten im Knotenpunkt des Welthandels, und will diesem gigantischen Getriebe ein Stoeckchen in die Speichen halten. Halte mein Faehnchen hoch und sage „Environment“, „Climate“ und „Energy“.

Ich versuch’s …