Noch mal zum Thema Transport

Übers Busfahren in Afrika ist schon viel geschrieben worden. Dass sich die Busse, Kleinbusse (‚Tro-Tros‘) und vergleichbare Transportmittel selten nach Fahrplänen richten, sondern erst abfahren, wenn sie voll sind, gehört ja sozusagen zur Afrika-Folklore – ich war also bestens darauf vorbereitet. Außerdem bin ich durch meine Frachtschiffreise in puncto Entschleunigung und längerem Herumsitzen ganz gut im Training. Verglichen mit einem leeren Meer oder einer Kabinenwand gibt es beim Warten auf die Abfahrt eines ‚Tro-Tros‘ soviel zu beobachten, dass ich mich eher reizüberflutet als gelangweilt fühle: Mädchen und Frauen drängen sich um die Busse herum und bieten Wasserbeutel oder Kuchen durchs Fenster an. Drumherum spielt sich der Marktalltag ab: Menschen tragen Wannen mit ihren Waren auf dem Kopf – Ananas, bunte Plastikkämme, Fleischspieße, Zahnpasta -, Matronen in bunten Gewändern geben hinter der Auslage mit panierten Fischen ihren Säuglingen die Brust, junge Männer schlafen neben ihrem Kaugummisortiment. Zwischen dem Gewühl aus beladenen Autos, Menschen und Essensständen schnuppern Ziegen an Pfützen und Müllfetzen. Spannend beim Warten ist außerdem die Frage, wieviele Menschen sich letzendlich in den Kleinbus zwängen werden. Die meisten Fahrzeuge, die ich auf den Straßen von Ghana und Togo sehe, sind voll ausgelastet – auch der Platz über der Handbremse wird vergeben. Das kann von den Standpunkten der Ökologie bzw der Verkehrssicherheit unterschiedlich bewertet werden.

Ja, das sagenumwobene afrikanische Zeitempfinden bereitet mir beim Reisen keine Probleme. Außer dem Sonnenuntergang, vor dem ich meinen Zielort erreicht haben möchte, habe ich schließlich keine wichtigen Termine. Was dagegen die Fortbewegung unglaublich schwer macht, ist eher die räumliche Unbestimmtheit. Es gibt es nicht einen zentralen Busbahnhof, sondern viele verschiedene Haltestellen und Sammelpunkte, manchmal einfach nur Straßenecken. Jeder Tro-Tro ist mit einem Psalmspruch bemalt, aber Schilder mit ihrem Zielort haben sie nicht. Und was helfen mir die Straßennamen im Reiseführer, wenn es keine Straßenschilder gibt?

Wenn ich also herausfinden will, wo mein Bus abfährt, muss ich fragen. Der Mensch, den ich frage, schickt mich dann mit einer Armbewegung in die – hoffentlich – richtige Richtung und sagt ‚Go ask there‘. So frage ich mich von Ecke zu Ecke durch (bei 35 Grad, im Menschengewühl), schlimmstenfalls muss ich noch einmal umsteigen – bis ich dann endlich vor dem richtigen Bus stehe. Das Warten, wirklich, ist dann nur noch ein Kinderspiel.

Ich bin also, was Orientierung angeht, völlig auf die Hilfsbereitschaft anderer Menschen angewiesen. Ich habe dabei unglaublich freundliche Menschen kennengelernt, die ein Stück des Weges mit mir gegangen sind, um sicherzustellen, dass ich zum richtigen Verkehrsmittel komme. Aber ich bin auch auf Menschen gestoßen, die mich in die komplett falsche Richtung geschickt haben. Oder schlichtweg Menschen, die vage Aussagen machen, oder die ich nicht verstehe.

Es hat einige Zeit gebraucht, bis ich dieses System (wenn es denn eins ist), verstehe, ansatzweise zumindest. Ich verstehe, was in Accra die Beifahrer der Tro-Tros schreien, wenn sie sich aus dem Fenster hängen: „Circ-circ-circ“ heißt „Krumah Circle Station“, und „Cracracra“ bedeutet „Accra“, also ‚Tema Station“. Ist doch klar. Manchmal deuten sie das Fahrziel lediglich mit einer bestimmten Handbewegung an. Es ist jedes Mal ein Triumph, wenn ich die Taxifahrer, die wie die Geier auf mich zustürzen, links liegen lassen kann. Sollen sie doch andere obrunis abzocken, ich weiß, wo ich hin muss; ich weiß, in welchen Tro-Tro ich steige!

Wenn ich im Tro-Tro sitze, fangen die Sorgen manchmal erst richtig an. Die Straßen in Ghanas Süden sind in hervorragendem Zustand, die Fahrzeuge nicht. In einer vollgepackten, unklimatisierten Rostlaube mit 120 Sachen über die Landstraße zu brettern und die riskanten Überholmanöver des Fahrers zu beobachten, ist kein Spaß. Rechts und links der Straße sieht man häufig ausgebrannte oder zerdellte Autowracks. Verkehrsunfälle gehören zu den häufigsten Todesursachen in Ghana, und ich kann mir jetzt auch vorstellen warum.

Die Fahrzeuge sind häufig ausrangierte Zweitwägen aus Europa – mein Frachtschiff war voll davon. Sie tragen noch deutsche oder dänische Firmen-Aufschriften („Bestattungsunternehmen Wolfgang Heinemann“, „Umzugsservice“) mit den dazugehörigen Telefonnummern. Sie sind durchgerostet, löchrig und spucken schwarzen Rauch. In einem Tro-Tro saß ich in der hintersten Ecke und wurde von meiner schlafenden Nachbarin, die wegen der Schlaglöchern hin- und herschwankte (aber vor allem hin), immer mehr an die Wand gedrängt.. und ich hätte schwören können, diese Wand gab nach und beulte sich aus.

Ja. Aber neben all den schrottigen Autos gibt es auch andere, modernere, und ich würde lügen, wenn ich sie an dieser Stelle unerwähnt ließe: schwarze, glänzende, dicke Geländewagen. Mit leerer Rückbank, mit leerem Beifahrersitz. Vor allem die Straßen Accras sind voll davon. Und es werden immer mehr werden. Denn es geht aufwärts mit Ghanas Wirtschaft. Man kann es den Menschen nur wünschen. Denn je größer das Auto, desto höher die Überlebenschancen bei einem Zusammenstoß. Was dann allerdings mit dem Verkehr in Accra passiert, der jetzt schon in den Stoßzeiten zum Infarkt führt, das weiß ich nicht. Oder was mit der Luft wird, die jetzt schon versmogt ist… ? Oder mit den letzten heldenhaften Radfahrern Accras, für die heute schon kein Platz mehr ist?